Sturmbringer Teil 2

Während jeden Tag tausende Flüchtlinge nach Europa kommen und die ersten Länder bereits Grenzzäune bauen, um die Festung Europa unerreichbar zu machen, wird die logischste und naheliegendste Frage gar nicht mehr gestellt: Was ist die Hauptursache für Flucht? Verfolgt man die Kette der Gründe bis zu ihrem Ursprung, so kommt man zum Ergebnis: Zum Großteil WIR.

Oder um etwas weniger polemisch zu klingen, unsere Außenpolitik. Ein kleiner Gang durch die Geschichte der westlichen Interventionen im Nahen Osten, der zeigt, dass die derzeitige „Flüchtlingskrise“ ihren Anfang und ihr heutiges Ausmaß in Einmischungen des Westens nahm.

 

 

  1. Der Verrat

 

Der Nahe Osten. Dieses geographisch nicht definierte Gebiet südöstlich von Europa ist in den Köpfen vieler Menschen ein durch wiederholte Medienberichte konstruiertes Bild: Explodierende Autos, brutale, verrückte und narzisstische Diktatoren, religiöse Fanatiker, Steinigungen, nicht vorhandene Frauenrechte und vor allem: Krieg.

Keine Region der Welt wird in den westlichen Medien häufiger thematisiert als diese, die „arabische Welt“, diese rückständige, barbarische Gegend, die häufig als das Gegenteil all dessen dargestellt wird, was als „Westliche Welt“ oder „Demokratische-Freiheitliche Welt“ gilt. Saddam Hussein, Muammar al-Gaddhafi, Bashar al-Assad, Ayatollah Khomeini, wo kamen sie alle her, diese neuen Hitler, die die „Achse des Bösen“ bildeten, wie der Großmeister der Kampfbegriffe G.W. Bush sie nannte?

Nach dem Ende des 1. Weltkrieges war das, was wir heute als „Naher Osten“ verstehen, im Prinzip zum größten Teil unter der Herrschaft des osmanischen Reichs und im Falle Persiens (das von den Briten in „Iran“ umbenannt wurde) und Ägyptens des britischen Empires. Da das osmanische Reich mit Großbritanniens Kriegsgegner Deutschland verbündet war, hatten die Briten den Völkern und Stämmen Arabiens und des Nahen Osten ein Angebot gemacht: Im Austausch für die Unterstützung im Kampf gegen die Osmanen sollten die Araber einen eigenen Staat von Syrien bis nach Jemen bekommen. Diese stimmten zu, die Briten jedoch brachen ihr Versprechen nach dem Krieg und teilten das Gebiet des heutigen Israel, Libanon, Syrien, Jordanien und Irak mit Frankreich unter sich auf. Im sogenannten Sykes-Picot-Abkommen, dass bereits 1916 unterzeichnet worden war (womit bewiesen ist, dass die Briten ihr Versprechen niemals einhalten wollten), wurden die Grenzen zwischen diesen Ländern mit Lineal und Stift über die Karte gezogen – ein Blick auf die Karte zeigt, dass sich das bis heute nicht geändert hat.

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges zogen sich Briten und Franzosen nach und nach freiwillig oder aufgrund von Unabhängigkeitskriegen aus ihren Kolonialgebieten zurück. Sie hinterließen das Land meist den Königsfamilien oder anderen Eliten, die diese Gebiete schon während der Besatzungszeit für ihre Kolonialherren verwaltet hatten. Anstatt freie Wahlen durchzuführen und eine demokratische Verfassung aufzusetzen, wurden die Länder sich und ihren Diktatoren selbst überlassen.

 

  1. Das Marionettentheater

 

Dies war aber bei genauerer Betrachtung für die – erdölabhängigen – westlichen Industrieländer von Vorteil. Mit einem Diktator verhandelt es sich leichter als mit einer Regierung, die ihrem Volk Rechenschaft schuldig ist. Das zeigte sich für Großbritannien und die USA 1953 im Iran: Dort gab es – viele mögen es kaum glauben – eine Demokratie mit einem demokratisch gewählten Präsidenten, Mohammad Mossadegh. Dieser wollte die iranische Erdölförderung verstaatlichen, damit das Volk auch vom Erdölreichtum des Landes profitiert. Der britische Ölförderer BP hatte damals das Monopol zur Ausbeutung des iranischen Öls und da weder Großbritannien noch die USA ein Interesse hatten, dieses zu verlieren, wurde Mossadegh, ein demokratisch gewählter Präsident, mithilfe von MI6 und CIA gestürzt. An seine Stelle trat Schah Mohammad Reza Pahlavi, ein Diktator wie er im Buche steht, der allerdings die Verstaatlichung des Erdöls wieder rückgängig machte. Seine Herrschaft wurde 1979 durch die islamische Revolution unter Ayatollah Khamenei beendet.

Dieses Regime war dem Westen selbstverständlich wieder ein Dorn im Auge. Um den Iran zu bekämpfen, lieferten die USA von 1980 bis 1988 Waffen an einen gewissen Saddam Hussein, den verbündeten Diktator des Iraks. Es ist bewiesen, dass Saddam in dieser Zeit massenhaft Kurden vergaste – doch er durfte noch ganze 21 Jahre nach Ende des Krieges weiterregieren, ehe George W. Bush auffiel, dass der Mann das Böse in Person sei und ihn zum Feind erklärte. Dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitze, war ebenso eine Lüge wie die Absicht, Demokratie und Menschenrechte in den Irak zu bringen. Nach dem Einmarsch der USA 2003 wurden große Teile der Erdölvorkommen von Ölkonzernen wie Exxon Mobil erschlossen.

Nicht viel besser erging es Muammar al-Gaddhafi in Lybien, den sowohl Europa als auch die USA über 42 Jahre hinweg unterstützten. Er beging denselben Fehler wie seine Vorgänger: Er handelte gegen die Interessen des Westens. Gaddhafi plante, sein Erdöl in Zukunft nur noch in einer neuen Währung, dem Gold-Dinar, zu verkaufen, nicht mehr in US-Dollar, wie es bis heute üblich ist. Der US-Dollar wäre seit der Aufhebung der Kopplung an den Goldstandard unter Nixon 1971 heute eigentlich nichts mehr wert, müsste nicht jeder seine Währung in US-Dollar umtauschen, um Erdöl zu kaufen. Im Gegensatz zu allen anderen Staaten des arabischen Frühlings mischte sich der Westen in Lybien ein und bombadierte Gaddhafi in den Tod. Seitdem ist Lybien ein anarchischer Staat mit vielen sich gegenseitig bekämpfenden Gruppierungen.

Zuletzt noch der wohl schwerste Eingriff des Westens in die Geschicke der Region: Nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan 1979 rüsteten die USA zusammen mit Saudi-Arabien radikale sunnitische „Freiheitskämpfer“ – die „Mudschahedin“ auf Arabisch – auf, damit sie die Sowjetunion zum Rückzug aus Afghanistan zwingen würden. Ihr Anführer war ebenfalls ein bekannter Mann, der später zum „nächsten Hitler“ wurde: Osama bin Laden.

Nach dem Ende des kalten Krieges wurden diese mehr als 100.000 bewaffneten und radikalisierten Männer ohne Aufgabe zurückgelassen. In einem langen und blutigen Bürgerkrieg kämpften sie sich an die Macht, spalteten sich auf und nannten sich fortan „Taliban“ und „Al-Quaida“. Nach dem Einmarsch der US-Truppen in Afghanistan 2001 und dem Sturz des Taliban-Regimes, verteilten sich die einstigen „Mudschahedin“ über den ganzen Nahen Osten, bis die 200.000 entlassenen Männer der irakischen Armee 2003 zu ihnen stießen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf die Bildfläche treten würde, um diese frustrierten und radikalisierten Männer zu vereinen. Die neuste Ausprägung dieser Truppe nennt sich „Islamischer Staat“. Wer gerade aufmerksam gelesen hat, erkennt, dass die USA und der Westen die Taliban, Al-Quaida und den IS im Prinzip selbst erschaffen haben. Wer den Wind säht, der wird Sturm ernten.

 

  1. Demokratie und Menschenrechte oder Erdöl?

 

Bei allen Interventionen des Westens im Nahen Osten wird stets davon gesprochen, Menschenrechte, Demokratie und Frieden verbreiten zu wollen oder zumindest die barbarischen Diktatoren abzusetzen, um den Menschen zu helfen. Bei genauerer Betrachtung ist klar, dass es darum selbstverständlich nicht geht. Niemand gibt 640 Milliarden Dollar im Jahr[1] aus, um der Welt Demokratie und Menschenrechte zu bringen. Die bösen Diktatoren, die wir heute verteufeln, waren bis gestern unsere dicksten Freunde und werden es vielleicht auch morgen wieder sein. Saddam Hussein, Gaddhafi, Ben Ali, Bashar al-Assad, der Westen hat sie alle unterstützt. Die roten Khmer brachten in Kambodscha Millionen um und in Ruanda gab es einen Völkermord – der Westen intervenierte nicht. Saudi Arabien ist eine absolute Monarchie, in der Steinigungen, Auspeitschen und die Todesstrafe an der Tagesordnung sind- jedoch ist das Land „unser Partner am Golf“. Dubai, Abu Dhabi und Qatar lassen viele Menschen vom indischen Subkontinent unter erbärmlichen Bedingungen wie Sklaven arbeiten. Doch da auf ihrem Boden ohnehin schon US-Militärbasen stehen, muss in diese Länder nicht einmarschiert werden.

Viele mögen die Augen verdrehen, wenn ich das Erdöl als den wichtigsten Grund für die Interventionen des Westens im Nahen Osten angebe. Das mag daran liegen, dass uns im Alltag überhaupt nicht bewusst ist, wie abhängig wir vom Erdöl sind. Die Menschheit verbraucht jeden Tag 90 Millionen Barrel (159 l) Öl am Tag. Zum Vergleich: 1946 waren es 6 Millionen. Ohne Öl steht unsere Welt still. Die Wirtschaft bricht zusammen, Autos bleiben stehen, Flugzeuge am Boden, das Essen in den Supermärkten geht zur Neige. Wir sind extrem verwundbar, uns ist es nur nicht bewusst. 2/3 der weltweiten Erdölreserven liegen im Nahen Osten. Wer sie kontrolliert, kontrolliert die Weltwirtschaft. Wer die Weltwirtschaft kontrolliert, hat die Macht, jedem Staat der Welt seinen Willen aufzuzwingen. So transformiert sich ein riesiges Gebiet in Vorderasien, aus dessen Schoss viele bedeutende, später vom Okzident assimilierte Entdeckungen, Erfindungen und Ideen sprossen, in den Augen der Machtträger unserer Welt zur „Tankstelle“- und unser Bild bricht runter auf blutrünstige, Turban- und Barttragende Terroristen.

 

Die eigentlich entscheidende Frage ist: Wie bekommt man ein demokratisch regiertes Land dazu, gegen ein anderes Land in den Krieg zu ziehen, weil man seine Bodenschätze kontrollieren will?

[1]Das ungefähre Militäretat der USA, auf Platz 2 rangiert Russland mit ca. 90 Milliarden

Simon Schairer

4 Gedanken zu “Sturmbringer Teil 2

  1. Zitat:“ nach dem Ende des 1. Weltkrieges war das, was wir heute als „Naher Osten“ verstehen, im Prinzip zum größten Teil unter der Herrschaft des osmanischen Reichs und im Falle Persiens (das von den Briten in „Iran“ umbenannt wurde).“ Wurde das wirklich von den Briten unbennant oder von den „Menschen im Iran“ selber? Die mir bekannten Fakten sind, dass „Persien“ bei den Menschen dieses Staates schon immer „Iran“ hieß und das „Persien“ die westliche/europäische bzw. historisch gewachsene Bezeichnung dieses Staates ist.

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    • @BlackWindow44:
      Gut aufgepasst, hast eine von zwei inhaltlichen Ungenauigkeiten gefunden, die mir auch erst nach der Publikation meines Artikels im campus:echo aufgefallen sind.
      „Iran“ (pers. ايران) ist seit frühester Zeit die Bezeichnung der Bevölkerung für das Land. „Persien“ hat seine Wurzel in der griechischen Bezeichnung für dieses Land, „Persis“, die sich in Westeuropa lange gehalten hat. Da dieser Name aber der europäisch/imperialistische Name für das Land war, wurde im Zuge des verstärkten Nationalbewusstseins der iranischen Bevölkerung in den 20er Jahren 1935 die offizielle Umbenennung in „Iran“ beantragt. Allerdings muss angemerkt werden, das die staatlichen Strukturen des Irans im 19. Jahrhundert so schwach ausgeprägt waren, dass europäische Kolonialmächte, allen voran Großbritannien und Russland, großen Einfluss über die Wirtschaft und Ausbeutund von Bodenschätzen gewinnen konnten. Großbritannien wollte den Iran sogar zu einem britischen Protektorat machen, scheiterte damit aber letztendlich. Großbritanniens Rolle bei der Namensänderung beschränkte sich aber nur auf die Befürwortung im Völkerbund.

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  2. Zu der Unterstützung Saddam Husseins durch die Waffenlieferungen der USA: sehr interessant ist hier die Verbindung zwischen dieser Aufrüstung des Irak und den Gewinnen der US-Rüstungskonzerne, insbesondere die der Carlyle Group und Halliburton, denen Verbindungen zu der Bush-Familie nachgesagt werden.

    und zu der eigentlich entscheidenen Frage: Mir ist gleich der Irak-Krieg in den Kopf gekommen, den die USA unter völlig falschem Vorwand begonnen hat, Stichwort Massenvernichtungswaffen. Der Irak steht meines Wissens nach auf Platz 4 der Weltrangliste der Länder mit den meisten Bodenschätzen – unter anderem Öl. Natürlich wäre es nicht möglich gewesen, allein aufgrund der Gier nach Öl einen Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen – da mussten schon überzeugendere Gründe her. Da waren angebliche Massenvernichtungswaffen ein weitaus überzeugender Grund – an dieser Stelle finde ich die „Curveball“ Geschichte sehr interessant -> ein irakischer Chemieingenieur, dem in Deutschland Aysl gewährt wurde, und als Informant dem BND, sowie später der USA von einem angeblichen mobilen Biowaffen-Labor berichtete, in welchem er selbst gearbeitet hätte. Der ehemalige US-Außenminister Colin Powell bezog sich in seiner Rede am 5. Februar 2003 vor den Vereinten Nationen auf eben diesen Informanten. Später kam dann raus, dass alles, was „Curveball“ erzählt hatte, erfunden war.
    Zudem spielten auch die Anschläge vom 11.September eine wichtige Rolle in der Begründung des Irak-Kriegs – obwohl Osama bin Laden nicht aus dem Irak, sondern aus Saudi-Arabien stammte (aber Saudi-Arabien ist ja ein wichtiger Geschäftspartner der USA). Somit konnten die USA den Krieg gegen den Irak ausreichend begründen – trotzdem fand dieser ohne UN-Mandat statt.

    Alles was ich geschrieben habe, hab ich mir angelesen, also falls ich irgendwo falsch liege, freue ich mich über Verbesserungen.

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    • @Lena: Vollkommen richtig, besonders interessant ist die Rolle Dick Cheneys nach dem Sturz Saddams…damals wurden Konzessionen für die Ausbeutung der Erdölfelder im Südosten des Iraks in Höhe von mehreren hundert Millionen Dollar an Halliburton vergeben – ohne das es eine offizielle Ausschreibung für diesen Auftrag seitens der US-Administration gegeben hätte. Zufälligerweise war Dick Cheney 5 Jahre lang CEO von Halliburton und bereits vor dem Irak-Krieg in zahlreiche Korruptions- und Bestechungsvorwürfe im Bezug auf Halliburton verstrickt – beispielsweise wollte ihn die Nigerianische Korruptionsbehörde wegen Schmiergeldzahlungen über 182 Millionen Dollar anklagen, man kann sich denken, was daraus wurde…
      Allgemein ist es sehr interessant, zu sehen, wer am Irak-Krieg alles verdient hat:

      http://www.spiegel.de/politik/ausland/wer-wirklich-am-irak-krieg-verdient-hat-a-889675.html

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